Vorwort der Herausgeberin
Die Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit – Hitler und dem
Holocaust – ließ dem kollektiven Gedächtnis nur wenig Raum für das Grauen der „Urkatastrophe des beginnenden 20. Jahrhunderts“.
Der erste Weltkrieg – das bedeutete Gemetzel, Grauen, Leid und Tod im Graben, und bescherte unvorstellbares Leid. Fast 70 Millionen Soldaten wurden in den Kampf geschickt und rund neun Millionen starben – viele missbraucht als Kanonenfutter in einem sinnlosen Stellungskrieg. Am Ende war die politische Ordnung des 19. Jahrhunderts hinweggefegt, der deutsche Kaiser dankte ab und ging ins Exil – und zurück blieben die Familien in ihrem schweren Nachkriegsalltag und der Trauer um ihre toten Väter, Ehemänner und Söhne.
In seinem Weltbestseller „Im Westen nichts Neues“ schreibt Erich Maria Remarque über den Horror des Stellungskrieges: „Wir sehen Menschen leben, denen der Schädel fehlt: wir sehen Soldaten laufen, denen beide Füße weggefetzt sind; sie stolpern auf den splitternden Stümpfen bis zum nächsten Loch; ein Gefreiter kriecht fast einen Kilometer weit auf den Händen und schleppt die zerschmetterten Knie hinter sich her; ein anderer geht zur Verbandsstelle und über seine festhaltenden Hände quellen die Därme; wir sehen Leute ohne Mund, ohne Unterkiefer, ohne Gesicht; wir finden jemand, der mit den Zähnen die Schlagader seines Armes klemmt, um nicht zu verbluten, die Sonne geht auf, die Nacht kommt, die Granaten pfeifen, das Leben ist zu Ende.“
Von solchen Grauen schreibt mein Großonkel Hermann Föller in seinen Briefen nichts, obwohl davon auszugehen ist, dass auch er sie erlebte. Zu groß ist die Liebe des Zwanzigjährigen zu seinen Eltern, die sich doch bitte keine Sorgen um ihn machen sollten. Er versucht, durch wöchentlich geschriebene Briefe und Karten, seine Familie am Soldatenleben teilhaben zu lassen. Er kümmert sich trotz der Ferne zur Heimat um die Belange zu Hause. Er versucht, den Blick auf eine schöne Zeit nach seiner Heimkehr zu lenken und damit Gottvertrauen und Zuversicht auszustrahlen. Seine Schilderungen aus dem Schützengraben sind humorvoll und anschaulich, manchmal ironisch oder nachdenklich. Gerade diese Erzählungen von Begebenheiten und Begegnungen geben uns Einblick in sein Seelenleben während der letzten Lebensjahre.
Susanne Luise Asoronye